· 

"Schwimmen wie ein Delfin oder Bowies Butler" von Anja Liedtke (2017)

„Sein Gesicht war jung, doch Mitte fünfzig. Gepflegt aber nicht geliftet. Die Mimik war beweglich, wenn er wollte. Zuerst drückte sie Misstrauen aus, später Sympathie. Die schiefen Zähne – die Eckzähne waren früher verdreht und von vielen Gitanes verfärbt gewesen – waren durch ein ebenmäßiges Hollywood-Gebiss ersetzt worden. Alex bedauerte das. Schiefe Dreier waren ihr Schönheitsideal. Die Haare trug er heute lang. Hunderte von Malen im Leben hatte er die Frisur geändert. Blond war seine natürliche Farbe gewesen, rot hatte ihn die die erste Ehefrau gefärbt. Jetzt bekannte er sich zum Grau, als wollte er damit unterstreichen, dass er ein normaler, alternder Mann geworden war.“

 

Es ist reiner Zufall, dass Alex, die auf Job- und Sinnsuche durch die Schweiz irrt, plötzlich auf David Bowie trifft. Denn das Grundstück in dem Bergdorf Blonay, welches sie unbewusst angesteuert hatte, um dort die nahende Nacht in ihrem Auto zu verbringen, gehört dem Superstar. Das wird ihr am nächsten Morgen klar, als er ihr verwundert gegenüber steht. Und als sei es das Natürlichste von der Welt, bittet sie ihn kurzerhand darum, eingestellt zu werden. Eben als Butler.

Keine Frage: Es ist sicherlich ein ungewöhnlicher Einstieg in einen Roman, die sich um einen der einflussreichsten Popstars der letzten Jahrzehnte dreht. Aber es ist ja auch eine ungewöhnliche Geschichte, die die Bochumer Autorin Anja Liedtke für ihren nunmehr vierten Roman "Schwimmen wie ein Delfin oder Bowies Butler" (asso-Verlag, 196 Seiten) ersonnen hat. Schließlich geht’s in den 35 Kapiteln nicht um kritiklose Heldenverehrung, auch nicht darum, dass da nun genüsslich und in aller Breite Bowies Privatleben offengelegt wird oder dass ein beinharter Fan ein episches Glanzbilderalbum auflegt. Liedke schickt ihre recht spröde Protagonistin Alex ins Zentrum des Geschehen, die zum einen mit ihrer trotzig-distanzierten Art die Gedankenwelt des britischen Musikers erfolgreich durcheinanderwirbelt, zum anderen aber auch mit wachem Blick seinen Alltag, zahlreiche Ereignisse und ungewöhnliche Begegnungen studiert, analysiert und kommentiert.

Die dialogischen Exkurse des ungleichen Paares stehen im Vordergrund und beschäftigen sich mit Selbstfindung und Selbstachtung, mit Eitelkeiten und Eifersüchten, mit Wünschen und Träumen und verlieren zu keiner Zeit ihr Ziel, die Bedeutung von Kunst an sich und im Besonderen zu bejahen. Denn Kunst in jeglicher Form erlaubt dem Menschen auf seinem Lebensweg, sich kreativ mit der Welt und dem Irrsinn und so fort und mit sich selbst auseinanderzusetzen. Das gibt Mut und Kraft und Ausdauer und sorgt für weitere schöpferische Ideen und so fort. In diesem Prozess darf man sich nicht verlieren, da muss man dranbleiben, da muss man auch mal hart agieren, da kann man dann auch schon mal Stile, Sätze, Gesten und Attitüden sammeln, die man dann geistreich und originell für sich und andere neu interpretiert.

Es funktioniert auf jeden Fall, dass Alex es immer mehr schafft, den berühmten und verschlossenen Star aus der Reserve zu locken, sich mehr und mehr zu öffnen, Familiäres zu verraten, Mechanismen des Erfolgs zu überdenken, sich aber  auch zu hinterfragen, warum er mal seine Persönlichkeit der Kunst und mal die Kunst seiner Persönlichkeit unterworfen hat. Am Ende der Geschichte trennen sich die Wege. Alex ist wieder allein und unterwegs, allerdings um vielerlei Erkenntnisse reicher (und nicht nur die, die mit der Kunst des Dienes einhergehen). Und auch bei David Bowie hat die Begegnung offensichtlich Spuren hinterlassen.

Dass hinter dem facettenreichen Schlagabtausch mit den existenzialistischen Fragestellungen (in dem später auch Mick Jagger eingebunden ist) unendlich mehr und viel passiert, sei wahrlich nicht nur am Rande erwähnt. So ergibt es sich, dass sich Alex im illustren Freundeskreis von Bowie tummelt, mit ihm irgendwann auf Tour geht und schließlich sogar künstlerisch mit ihm arbeitet. Unterfüttert wird die Handlung mit der Lebensgeschichte des Rockstars. Anja Liedtke nutzt Originalzitate und biografische Informationen, die sie geschickt in die fiktionalen Geschehnisse einwebt, voller Liebe fürs Detail ausgestaltet und mit sehr viel Fingerspitzengefühl und sehr klug zu einem stimmigen und amüsanten literarischem Roadmovie verdichtet hat.

Man muss kein Bowie-Freund sein, um das Buch genießen zu können. Die Lektüre allein sorgt aber dafür, dass man schon nach wenigen Seiten gewillt ist, sich unbedingt mit dem Ausnahmemusiker, der im Januar 2016 starb, beschäftigen zu wollen.

Weitere Informationen: www.anja-liedtke.de

Kommentar schreiben

Kommentare: 0