Was ich gerne einmal wissen möchte: Stehen bei Ihnen die Lautsprecherboxen frei im Raum? Und wenn ja, liegt oder steht da etwas drauf? Eine Kerze vielleicht? Ein Schälchen mit Knabberzeug? Eine hässliche Vase aus Omas Erbschaft? Oder nutzt gar Ihre Frau oder Ihre Freundin bzw. Ihr/Ihre Lebensabschnittpartner/-partnerin die Boxen als Ablage für Gedöns? Kettchen, Ringe, Eyeliner, Schlüsselbund, Zigaretten, Präservative oder ähnliche Dinge? Sollte es so sein, empfehle ich die sofortige Trennung von jener unsensiblen Person. Sollte es nicht so sein, dann ist das sehr gut, dann leben Sie offenbar in einer harmonischen Beziehung.
Es gehört sich nämlich nicht, freistehende Lautsprecherboxen als Möbelstücke zu behandeln. Tut man mit Heizkörpern auch nicht. Musik muss sich störungsfrei entfalten können. Allein ein kräftiger Basston reicht manchmal aus, schon hüpfen Krempel, Tand und Nippes im Dreieck und sorgen für negative Schwingungen. Somit noch einmal zum Mitschreiben: Lautsprecherboxen, die frei im Raum stehen, sind kein Regalersatz! Für nichts! Für niemanden!
Eva weiß das. Für Eva sind freistehende Boxen tabu. Eva ist eben perfekt programmiert. Eva ist ein Roboter. Aber nicht so eine kantige Metallkiste. Wo denken Sie hin. Evas kunstvoll konstruierter Körper ist von unserem menschlichen Körper kaum zu unterscheiden. Eva bewegt sich wie du und ich und sie hat schöne Augen und die Haare so blond. Genauer: Ihre mandelförmigen Augen sind hellblau und umrandet von dichten, dunklen Wimpern, ihr mittelgescheiteltes Haar fliesst in glatter Form über ihre Schultern und glänzt dabei wie flüssiges Gold.
Eva heißt mit vollem Namen „Elektronisch gesteuerte Datenverarbeitungsmaschine“ und gehört zur Produktgruppe „M“. Es gibt verschiedene Versionen für unterschiedliche Interessen. „L“ für Literatur, „K“ fürs Kochen, „H“ fürs Heimwerken und so weiter. Wer nun denkt, dass auch Sex-Roboter dabei sind, den muss ich enttäuschen. Die Modelle der Eva-Reihe sind auschließlich Bildungsroboter. Fürs Zwischenmenschliche sind nach wie vor wir Menschen zuständig. Die Produktgruppe „M“ verfügt über das gesamte musikalische Wissen unserer Welt. Eva kann somit alle erdenklichen tonkünstlerischen Spielarten in Windeseile abrufen. Eine Internette auf zwei Beinen, sage ich gerne spaßeshalber.
Mit Eva kann ich mich eine Stunde lang niveauvoll und tiefgründig über Musik austauschen, wenn wir zusammen vor meinem Plattenspieler sitzen. Ganz gleich, ob ich klassische Popsongs von Elvis oder Buddy auflege oder klassische Dauerbrenner von Bach oder Händel oder historische oder zeitgenössische atonale Waghalsigkeiten. Sie hört aufmerksam zu, wenn ich ihr meine Geschichten dazu erzähle. Sie ergänzt meine Ausführungen beispielsweise mit sachlichen Erläuterungen zur Entstehungsgeschichte, weist auf mögliche Querverbindungen hin, verortet die Klangwelten in einen korrekten soziologischen Kontext und prognostiziert deren zukünftigen Stellenwert. Natürlich geht es nicht immer nur ernst und wissenschaftlich zu. Evas Emotionschip zündet fix den Turbo, wenn wir etwas hitziger über Rap und Rock diskutieren oder uns über Eros Ramazotti und Rastafaris streiten. Es macht mir vor allem großen Spaß, wenn Eva aus dem Nähkästchen plaudert und einige ihrer zahllosen Berichte zum Besten gibt.
So sei einst das Konzert der Band Twelve Drummers Drumming, Mitte der 1980er-Jahre, eine Katastrophe gewesen. Die zwölf Schlagzeuger, so schildert sie, die eigentlich nur fünf waren und, bis auf einen hingebungsvollen Rhythmusarbeiter, mit Trommelsounds gar nichts am Hut gehabt hätten, seien die Inkarnation des Plagiats schlechthin gewesen. Bei deren Musik habe es sich beim genauen Hinhören hauptsächlich aus gemopsten Erfolgsakkorden britischer Synthi-Popmusik jener Zeit gehandelt, die die Drummer-Combo innerhalb ihrer bombastischer Arrangements geschickt zu einem zwar eigenen, aber letztlich zu einem gesamtkünstlerischen Nichts verknüpft hätten. Abgeschmeckt mit einer Prise ABC, einem kräftigem Schlag Depeche Mode, ein paar Körnchen New Order. Die Zutatenliste, sagt Eva, hätte man beliebig verlängern können. Es sei ein Konzert der ärgerlichen Mittelmässigkeit gewesen. Ohne Schwung, leblos, tot.
Ich bin begeistert, denn wann und wo auch immer auf Welt gejodelt und jubiliert, gefidelt, geklimpert, gejammt wurde und wird – Eva weiß Bescheid! Ich muss schon sagen: Was kann schöner sein auf Erden, als mit einer auf- und anregenden Persönlichkeit zusammenzusein, die kompetent und hingebungsvoll über Typen und Tyrannen oder Konzerte und Katastrophen parlieren kann.
Käuflich erwerben kann man Eva fürs musikalische Schäferstündchen allerdings nicht. Nur mieten. Dazu gibt es eine ausführliche Bedienungsanleitung. Zum Beispiel steht da auch drin: „Das Modell Eva der Produktgruppe „M“ ist nur für den verbalen Informationsaustausch in der Kategorie „Musik“ bestimmt. Ihr selbstlernendes Sozialverhalten sieht vor, dass der User, sollte er das Modell unangemessen berühren, beleidigen oder sexuell bedrängen, umgehend und nachhaltig sanktioniert wird.“
Über einige Ecken habe ich gehört, dass Eva bei unsachgemäßer Behandlung lieb lächelnd die Lieblingsplatten des Users zerbricht, den Hausmüll über den Plattenspieler schüttet und zusätzlich noch mit einer ätzenden Flüssigkeit die von ihr zuvor mit allerlei Gerümpel vollgestellten Boxen zerstört. Außerdem bekommt der betreffende User ein lebenslanges Mietverbot. Finde ich richtig so.
Übrigens: Die korrespondierenden männlichen Modelle heißen Elias. Sie befinden sich zum Teil noch im Produktionsprozess. Erste Varianten sollen aber bald schon marktreif sein. Eventuell, so
habe ich es gelesen, denken die Hersteller auch noch zusätzlich über spezielle LGBTQ-Versionen nach.
Das alles kommt Ihnen spanisch vor? Nun, bevor Sie diese Geschichte für hirnverbrannten Quatsch halten, reisen sie doch bitte bei Gelegenheit mal per Datenstrom nach Japan und schauen Sie mal, wie sich die Dinge um die Androidin Erica aus Osaka entwickelt haben. Sie werden verblüfft sein.
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