Auf meiner Hochzeit spielten die Scorpions
Interview mit Winfrid Trenkler im Café Zentral in Bochum, November 1994
(Der Text wurde vom Autor im Buch "Licht aus - Spot an" von Engelbrecht/Boebers 1995 veröffentlicht)
Fotos: WDR
Winfrid Trenkler (*1942), einer der populärsten deutschen Radio-Moderatoren und profunder Kenner der Rockmusik, begann seine Karriere 1971 beim Westdeutschen Rundfunk (WDR). In den 1970er-Jahren waren seine wöchentlich, bzw. vierzehntägig ausgestrahlten Sendungen Pro Pop Music Shop, Rock In und Radiothek (donnerstags) ein Muss für jeden Fan. In den 1980ern präsentierte er noch zusätzlich Elektronische Musik in der Sendung Schwingungen. Nachdem Rock In 1987 aus dem Programm genommen wurde, konzentrierte sich Trenkler ausschließlich auf seine Klangwelt-Porträts.
Aller Anfang ist schwer. Sicherlich auch für einen Rock-Experten, der wahrscheinlich zunächst eine gründliche Überzeugungsarbeit leisten musste, um im Rundfunk, in diesem Falle im WDR, sesshaft zu werden. Winfrid, wie fing bei Dir alles an?
Ich wurde in Berlin geboren und kam später mit den Eltern nach Köln. Mein Vater war Leiter der Übersetzungsabteilung einer Ex- und Importfirma, die Geschäfte mit der Sowjetunion betrieb. Als die Russen in der Domstadt eine Handelsmission eröffneten, begann unser Umzug. Ich habe mein Abitur noch in Berlin gemacht und zog dann auch an den Rhein. Ich sollte Betriebswirtschaft studieren. Das habe ich aber nie zu Ende gebracht, weil es überhaupt nicht zu mir passte.
Ich bin mit klassischer Musik groß geworden. Meinen Klavierunterricht bezahlten meine Eltern mit Hülsenfrüchten, Mehl und Zucker aus Ost-Berlin. Wie kam das? Wir wohnten in West-Berlin, mein Vater aber arbeitete in Ost-Berlin. Er bekam sein Gehalt wie alle diese sogenannten Grenzgänger teils in Ost-, teils in West-Mark. Die Ost-Währung war im Westen nichts wert, also musste man sie im Osten ausgeben. Größtenteils für Lebensmittel.
Ein frühes musikalisches Schlüsselerlebnis hatte ich, als ich mit elf Jahren die Wagner-Oper „Tannhäuser“ sah und hörte. Ich war hingerissen. In meinen Teen-Jahren habe ich unzählige Abende in der Oper verbracht und etwa gleich viele Konzerte der Berliner Philharmoniker erlebt.Der Kartenverkauf begann immer am Sonntagmorgen um 10 Uhr. Jeder bekam nur zwei Karten. Für gute Konzerte musste man ab Samstag anstehen. Auch die Nacht durch. Alle zwei Stunden (!) war Aufruf. Wer nicht da war, flog raus. Für bessere Ereignisse standen wir ab Freitag Schlange. Das Tollste lief ab, als die Mailänder Scala mit der Callas kam. Da standen wir ab Dienstag (!!) vor der Oper. Standen? Wir lagen mehr. In Zelten und auf Luftmatratzen. Das werde ich nie vergessen. Ich war 15 Jahre alt zu diesem Zeitpunkt. Wir müssen die leidenschaftlichsten Musikliebhaber Deutschlands gewesen sein.
Der „harte Kern“ kannte sich bald gut. Einer von den älteren Herren hatte schon über 120-mal den „Rosenkavalier“ gesehen, über 60-mal den „Parsival“ und. Das nenne ich Leidenschaft! Wir redeten uns in den langen und kalten Nächten über Wagner-Tenöre und Brahms-Pianisten, über Tempi und Crescendi, die Köpfe heiß. Dass die Füße dennoch eiskalt blieben, nahmen wir tapfer in Kauf. Diese Episoden machen deutlich, womit bei mir alles anfing: mit der Liebe zur Musik! Und ich danke meinen Eltern heute noch, dass sie mich in diese faszinierende schöne Welt eingeführt haben.
Jahre später, Ende der 60er, wurde Soft Machine meine Leib- und Magengruppe. Nachdem ich sie in meiner Sendung rauf und runtergespielt und bejubelt hatte, sind sie auch in England akzeptiert und als beste Jazz-Gruppe gekürt worden. Als Jazz-Gruppe! Nicht im Rockbereich. Gut, ich war schon recht kompetent und in Sachen Underground-Music, Psychedelic, Acid oder Flower-Power - der Begriff Rock war zu der Zeit hier nicht üblich - war ich in meiner Umgebung an der Uni der Meinungsführer. Um diese Dinge kümmerte ich mich viel lieber als um mein Studium
Ab Mitte der 60er Jahre hielt ich mich regelmäßig in England auf und informierte mich in Musikzeitschriften, im „Melody Maker“ zum Beispiel. Was dort über die neue Musik geschrieben wurde, interessierte mich mehr als die Songs der Beatles. Für mich begann die neue Ära ganz klar mit Soft Machine, Caravan, Pink Floyd, Love, Jefferson Airplane, Jimi Hendrix, Cream, Traffic, Frank Zappa u.a. Deren Songs waren meistens länger als drei Minuten und spannender.
Ich kehrte nach Deutschland zurück und wusste: Es hat sich musikalisch enorm was getan, es gab neue Formen, neue Klänge - und nichts davon hörte ich im Radio. So zog ich los und bot zunächst dem „Kölner Stadtanzeiger“ meine Dienste an, schrieb dort in der Wochenendbeilage über Rockmusik. Zeitgleich auch in „Sounds“, für die ich regelmässig Plattenrezensionen und Berichte verfaßte. Und zwar - das ist wichtig - nur über die Musik, die ich persönlich interessant fand. Eines Tages ging ich dann mit meiner Pressemappe zum WDR und hatte Glück, dass ich auf einen Redakteur traf, der schon etwas in die neuen Klänge hineingeschnuppert hatte und wusste, daß sich was tat. Ich bekam eine Probesendung, den Pro Pop Music Shop. Von da an lief es.
Bevor ich beim WDR anfing, gab‘s im Rundfunk nur die Top-Twenty-Hits zu hören. Sicher, wenn Jefferson Airplane in den Charts war, dann wurde auch das gespielt. Grundsätzlich aber durften für die Sendungen die Stücke nie länger als drei Minuten sein. Die Beatmusik - so verstanden es viele Radiomacher damals - sollte vor allem der Kitt zwischen den Wortbeiträgen in den Jugendsendungen sein.
Nun gab‘s also mit Pro Pop Music Shop die erste Sendung, in der längere Stücke, und in der Pink Floyd, Family, Kevin Ayers, Soft Machine gespielt wurden, und auch schon Elektronik, nämlich: Kraftwerk, Tangerine Dream, Achim Reichel, damals mit seinem Projekt AR & Machines. Die Pilot-Sendung lief im Januar 1971. Ab März kam der Shop regelmäßig genau zur „Kommissar“-Zeit im ZDF. Alle vierzehn Tage eine Stunde, freitagsabends, 20.15 Uhr.
Ab Sommer 1972 machte ich zusätzlich Rock In. Der Shop war für die sogenannte progressive Musik, für etwas wie Soft Machine. Aber es fehlte noch eine Sendung, die Rockmusik in der vollen Breite darstellte. Es gab schließlich noch mehr außer Top-Twenty und progressiver Musik. Damals war der englische Zusatz „In“ Mode, „Love In“ oder „Sit In“, und deshalb hieß die neue Sendung Rock In, die 15 Jahre lang, bis 1987, ausgestrahlt wurde.
Wie hast Du Deine Arbeit verstanden? Warst Du nur ein Plattenplauderer oder wolltest Du auch Botschaften verkaufen?
Mir ging es stets um Musik: Das war meine Botschaft. Die Musik genügt sich selbst. Sie kann so toll sein, als Bereicherung des Daseins. Ich habe Respekt vor jedem musikalischen Werk, rede zu Beginn und am Ende nicht hinein und spiele die Titel aus. Anders mein Kollege Dave Coleman, der meinte, dass wir Radioleute nicht dazu da seien, um die Casettenrecorder der Hörer zu bedienen. Er verwebt seine Moderation mit der Musik. Nun, manchmal habe ich sogar ganze LP-Seiten gespielt, die bis zu einer halben Stunde dauern. Wie „Rubicon“ von Tangerine Dream, „Third“ von Soft Machine oder „Bitches Brew“ von Miles Davis. Ich wollte faszinierende Musiksendungen machen, vor allem wollte ich „Erste-Hand“-Sendungen machen. Daher war ich mit den Bands unterwegs, besuchte zahllose Konzerte, habe zig Rockfestivals angesagt und immer geredet und geredet, war für alle Leute ansprechbar, habe mich nie abgekapselt.
Es gab keinen anderen Musik-Kollegen beim WDR, der so viele Interviews gemacht hat. Mein Ziel war es, authentisch zu sein, und mir war es wichtig, direkte Informationen über den Musiker und sein Umfeld anzubieten. Auf den Punkt gebracht: Nähe, Authentizität und gute faszinierende Musik. Das war mein Rezept. Ich machte in Rock In mal eine Hörerbefragung. Soll ich als Radio-DJ Entdecker oder Servierer von Musik sein oder beides? Die meisten meinten „beides“. Viele wollten vor allem den Entdecker, aber die wenigsten wollten nur den Musik-Kellner.
Wie gingen denn die Medien allgemein mit dem Phänomen Rockmusik um?
Sehr unterschiedlich. Auch mit Verspätungen und Rückschlägen. Auf die Dauer kamen sie am Rock aber nicht vorbei. Ich schrieb noch lange Zeit über Rockmusik und bekam immer mehr Terrain. Ich habe Tageszeitungen und Zeitschriften beliefert. Von Flensburg bis nach Stuttgart, von Trier bis nach Berlin. Eine Drehtabak-Firma wollte Sympathiewerbung machen und entdeckte Alt-Hippies und Rockfans als neue Zielgruppe. Man engagierte mich, damit ich eine Anzeigenseite gestalte. Nicht über die Top Twenty, sondern über die Langhaarigen, die Progressiven, die Hippies. Nachrichten von Aerosmith bis Soft Machine, dazu Konzertdaten. Es war die Kurzfassung einer Pop-Zeitung.
Diese Anzeige wurde flächendeckend geschaltet bis zu dem Tag, an dem die Sache der freiwilligen Selbstkontrolle zum Opfer fiel: Es durfte nicht gezielt bei unter 30-jährigen für Tabak geworben werden. Die Personen, die auf der Anzeige zu sehen waren, mussten über 30 Jahre alt sein. Was ich damit sagen will, ist, dass doch viele Medien für aktuelle Entwicklungen offen waren. Zudem konnte man mit Rockmusik Märkte öffnen. Sehr schnell wuchsen auch in Deutschland spezielle Musikblätter heran. Neben „Sounds“ gab‘s „Flash“, „Musik Express“, „Pop“ und andere mehr.
Ich war als Experte geachtet und habe echte Triumphe erlebt! Ich wurde auf die besten Plätze der Pop-Polls gewählt, galt gleich mehrmals als beliebtester Radio-DJ Deutschlands. Bei meinen Auftraggebern war ich schließlich anerkannt. Auch wenn einige mich anfangs belächelten. Beeinflussung gab‘s keine, ich hatte stets freie Gestaltungsmöglichkeit.
Es gab allerdings auch Widerstände, gegen die ich kämpfen musste. Da spielst du Pink Floyd, Can, John McLaughlin und Co., und da schüttelt der WDR-Redakteur im nächsten Zimmer den Kopf und zweifelt an deinem Verstand: „Trenkler, wie halten Sie das überhaupt aus mit diesem Lärm?“ Als ich im Rahmen der Radiothek die Elektroniker von Harmonia vorstellte, hat mich der Produzent, noch während der Titel lief, angebrüllt: „Was spielst du da für eine Scheiße!“ Brian Eno war zu dieser Zeit mal bei mir zu Hause, wie viele andere Musiker auch. Hier spielte ich ihm Harmonia vor und schleppte ihn anschließend nach Hamburg in die Fabrik, weil dort einer der seltenen Auftritte der Gruppe stattfand.
Und jetzt kommt‘s: Ein Mächtiger im WDR scheißt dich zusammen und zur selben Zeit sagt Eno wörtlich: „Das ist die wichtigste Rockmusik, die heutzutage auf der Welt gemacht wird!“ Und dann ging er hin ins Weserbergland, wo die Gruppe lebte, hat sich Inspirationen geholt und mit ihnen mehrere Platten gemacht. Er hatte den Flitterkram aus Roxy-Music-Zeiten satt und wollte zu neuen Ufern aufbrechen. In Deutschland fand er sie.
Ein weiteres Beispiel, wenige Jahre später: Als der „Musik-Joker“ vom Springer-Verlag gegründet wurde, sollte der eigentlich der deutsche „Melody Maker“ werden. Das Blatt hätte es auch werden können, wenn nicht der Verlagskaufmann dauernd reingeredet hätte. Da hast du heute die Titelgeschichte über Mick Jagger geschrieben und nächste Woche haut dir der Kerl die Scheidungsgeschichte von Gitte ins Blatt. Oder Folgendes: Genesis sind auf Tournee, und ich sage, Genesis muss auf den Titel. Nein, Demis Roussos wurde draufgemacht. Obwohl der damals schon passé war. So geht das nicht, damit verprellt man die Leserschaft. Ich habe gekämpft und gekämpft. Nichts zu machen.
Ähnliches erlebte ich auch beim „Kölner Stadtanzeiger“, nachdem der neue Chefredakteur, der später Pressesprecher von Bundeskanzler Helmut Schmidt wurde, angefangen hatte. Kurt Becker war nur kurz dabei, aber es reichte aus, um einen gewaltigen Kahlschlag zu hinterlassen. Becker sagte in einer seiner ersten Konferenzen zu der Pop- und Rockseite, die von den Rolling Stones bis Pink Floyd und Kraftwerk reichte und das Schlager-Tralala beiseite ließ, wörtlich: „Das ist alles Unterholz!“ Und damit war es für mich aus. Und da war keiner in der Redaktion, der was dagegen sagte. Schwupps, war ich weg. Ich war der meistbeschäftigte freie Autor dieser Seite. Der Becker lag so weit neben der Zeit und neben der Entwicklung wie nur irgend möglich. Der hatte wirklich nichts mitbekommen.
Und nur wenige Jahre später? Die Tageszeitungen sind voll mit Interviews, mit Berichten und Klatsch über Rock und Pop. Auch die Boulevard-Blätter. Ich bot dem Kölner „Express“ Mitte der 70er Jahre Artikel über Rock an. Der lehnte mit folgenden Worten ab: „Was willst du da schreiben? Der Trommler trommelt hart oder er trommelt weich. Das ist doch keine Geschichte!“ Guck‘ heute in „Bild“ oder „Express“ `rein... Mist, ich war wieder mal zu früh dran.
Früher waren Rockbands für viele Medienleute die Buhmänner, heute rennen selbst die Autofirmen, Zeitungen und sonst wer hinter den großen Bands her, um sie zu sponsern und zu benutzen. Ich will nicht klagen, denn trotz solcher Rückschläge konnte ich bis heute mein Ding machen. Aber eben auch häufig gegen Widerstände. Und oft kommt man zur falschen Zeit. Ich komme oft zu früh, das kann genauso blöd sein, wie zu spät zu kommen. Ich will Peter Rüchel und seinen „Rockpalast“ nicht madig machen. Im Gegenteil: Er zog genau das durch, was ich über ein Jahr zuvor dem WDR vorgeschlagen hatte: Gute Rockkonzerte, Musik im Mittelpunkt. Aber Rolf Spinrads glaubte nicht daran. Der wollte etwas Peppiges und Witziges und hat sich dann die „Plattenküche“ mit Frank Zander ausgedacht.
Als die Pop- und Rockindustrie wuchs, gab‘s da Versuche, bestimmte Bands im Radio zu platzierten. Mit anderen Worten: Gab‘s Bestechungsversuche?
Um gleich mit Vorurteilen aufzuräumen: Bei mir hat es nie Bestechungsversuche der Schallplattenindustrie gegeben. Überhaupt nicht. Habe ich nie erlebt. Ich kann nicht mal sagen: Was bin ich für ein Held, ich bin unbestechlich, denn alle Verlockungen sind an mir abgeperlt - Nein, ich habe einfach keine Angebote bekommen! Obwohl ich in Sachen Rock wichtig war. Schließlich gehörte ich zum größten Sender Deutschlands und vertrat die wachsende Rockmusik wie kein anderer.
Nun gut, du bekommst Annehmlichkeiten in dem Job, wohnst in den tollsten Hotel, an der Bar kannst du die teuersten Cocktails schlürfen, du kannst das teuerste Essen genießen, du sitzt mit den Rockstars die halbe Nacht zusammen und und und. Ich war mit den Scorpions auf Japan-Tournee, mit Rufus am Nordmeer, mit Nektar auf Amerika-Tour, mit Ray Manzarek (Ex-Doors) in Los Angeles, mit Bachman Turner Overdrive in New Orleans, mit Ted Nugent im Mittelwesten, mit Les McCann in Philadelphia und so weiter.
Der Aerosmith-Manager von Europa lud mich ein, weil ich Presse und Rundfunk zugleich machte. Diese Kombination in einer Person war sehr selten. Dann fliegst du mal eben nach Paris, triffst dich mit Steve Miller, machst drei Bänder Interview, aus denen dann zehn Rundfunksendungen werden. Und nicht nur für den WDR. Am nächsten Tag sprichst du mit Alan Parsons in London, und schon die Woche danach machst du ein Interview mit Chicago in Los Angeles und bist im Beverly Wilshire, einem der exklusivsten Hotels der Welt. Voller Film- und Rockstars. Ich habe das alles erlebt. Aber das war keine Bestechung. Dass man dich überall hinfliegt, davon kannst du nicht leben, davon kannst du keine Familie ernähren, davon kannst du dir keinen Anzug kaufen. Aber, zugegeben, ein schönes Leben. Berufsleben.
Zwar wurde ich populär, aber nicht wohlhabend. Es war ein aufregendes Jet-Set-Leben, und ich habe das ein paar Jahre genossen. Aber dann war es aus. Ich habe mich freiwillig aus der Rocksache zurückgezogen. Mir wurden andere Sachen wichtiger. Nun bin ich heute, als Familienvater mit drei Kindern, auch häuslicher geworden. Dennoch kenne ich mich in meiner Musikszene bestens aus. Außerdem weiß ich jetzt sehr viel mehr über das Leben. Ich bediene mich diverser konträrer Medien. Konträr deshalb, um der üblichen Selektion und Ideologie eines jeden Mediums so wenig wie möglich zum Opfer zu fallen. Ich lese mehr Bücher als früher.
Ach, der Jet-Set, der kann mich mal. Biete mir 14 Tage US-Metropolen mit Rockstar-Interviews und Luxushotels oder 14 Tage Lappland in der Hütte. Gar keine Frage: Lappland würde ich wählen. Dazu noch die passende elektronische Musik - Les McCann, Ashra, Vangelis, Tangerine Dream, Double Fantasy. Das ist göttlich. Ein Stück Ewigkeit.
Du bist ein Mann gewesen, der auch über den anglo-amerikanischen Tellerrand hinausgeguckt hat. Du hast europäische Rockmusik vorgestellt. Wie kam es dazu?
Ich hörte ihnen zu und sah - hörte - keinen Grund, sie zu vernachlässigen. Im Gegenteil! Ich war von Tangerine Dream, Amon Düül II, Can, Kraftwerk, Embryo und vielen anderen deutschen Gruppen sehr beeindruckt. Aber auch von Bo Hansson aus Schweden. Auch von Rufus aus Norwegen, Savage Rose aus Dänemark, Jukka Tolonen aus Finnland, Magma aus Frankreich, Focus und Kayak aus Holland oder Janne Schaffer aus Schweden. Als der „Musik-Joker“ ins Leben gerufen wurde, war meine erste Tat eine Euro-Rock-Serie.
Fündig wurde ich zum Teil in den Auslands-Sonderabteilungen der Plattenfirmen, ein Luxus, den sich das ein oder andere große Haus leistet. Hin und wieder listen sie ihre Angebote in einem Katalog auf und informieren auch die Plattenhändler. Doch die werfen die Infos meist in den Papierkorb, weil sie mehr davon haben, von einem bekannten Act hundert Stück in den Laden zu stellen, als von einer unbekannten Gruppe ein einzelnes Exemplar zu ordern. Was in den Importlagern steht, muss ohne Werbung auskommen. Dafür gibt es keinen Etat.
Auf den schwedischen Organisten Bo Hansson allerdings kam ich durch einen sehr engagierten Plattenverkäufer. Es gibt eben auch Ausnahmen. Als ich Hanssons Solo-Debüt „Lord of the rings“ hörte, war ich begeistert und dachte mir, den musst du kennenlernen. Ich machte den Mann ausfindig und beackerte die Plattenfirma, damit sie mir die Reisekosten nach Schweden erstattet. Denn als freier Mitarbeiter beim Rundfunk stand mir kein Etat zur Verfügung. Ich hatte nur die Sendung. Wie ich es anstellte, sie zu füllen, war ganz allein meine Sache. So. In diesem Fall musste ich die Plattenfirma von ihrem eigenen Künstler überzeugen. Das muss man sich mal vorstellen! Für die war das Thema Hansson nämlich schon lange gegessen, die versprachen sich nichts mehr davon. Aber dann schaffte ich es doch noch, sie zu überreden und ich fuhr nach Stockholm. Das war eine denkwürdige Reise!
Es stellte sich heraus, dass Bo zwar ungemein liebenswürdig, aber auch unglaublich kapriziös war. Es dauerte lange, bis ich ihn überhaupt zum Interview festnageln konnte. Und dann, nach drei Fragen, stand er auf und sagte, ich gehe mal eben Zigaretten holen. Ich machte also den Recorder aus und wartete. Eine Stunde, zwei Stunden - du wirst es nicht glauben, der Mann kehrte ganze zwei Tage später zurück. Lächelnd, lieb und nett, so, als könnte er kein Wässerchen trüben. Er hätte es auch nicht böse gemeint, und er erzählte mir, dass er eine Freundin getroffen habe. Beide mussten sich in seinem VW-Bus erst mal zwei schöne Tage machen.
Die Musik von Bo Hansson hat eine der stärksten Hörer-Reaktionen hervorgerufen, die ich je hatte. Es gibt solche Stunden, in denen ganz allein die Musik wirkt und bei vielen Menschen etwas auslöst. Das ist toll!
Du hast häufig skandinavische Bands gespielt. Bei Dir erfuhren die Hörer von Rufus, dem Gitarristen Jukka Tolonen und seiner Gruppe Tasavallan Presidentti oder Terje Rypdal. War Rockmusik aus dem hohen Norden für Dich etwas Besonderes?
Ja. Ich liebe Skandinavien weil es unbeschreiblich schön ist. Und ich liebe es zu hören, wenn sich diese Schönheit, diese Ausgeruhtheit und Weite in der Musik mancher Leute widerspiegelt. Das ist bei den Gruppen so, die Du nanntest. Besonders auf ihren frühen Platten. Zum Beispiel „Lord Of The Rings“ und „Magician‘s Hat“ von Bo Hansson, „Let Your Light Shine“ von Rufus und „Northern Light“ von Jukka Tolonen. Und absolut herausragend ein Mann, der schon 1964 seine erste Elektronik-LP veröffentlichte. Wir hier in Deutschland haben ihn alle verpennt: Ralph Lundsten. Seine sechs „Nordischen Natursinfonien“ sind eine Juwelensammlung im großen Schatz der Musik.
Wegen Bo Hansson fuhr ich zum ersten Mal nach Norden. Seither haben mich die Länder der Mitternachtssonne nie wieder losgelassen. Eindrucksvoll war auch die Tournee mit Rufus zum Nordmeer, Ende April, Anfang Mai. Da lag dort oben noch drei Meter Schnee. Die Band aus Oslo wurde vom Verteidigungsministerium dorthin geschickt, um den abgelegen stationierten Soldaten etwas Gutes zu tun. An dieser Stelle muss ich eine meiner ewigen Lieblingsplatten nennen. Sie ist nicht nur einmalig und faszinierend schön in sich, sondern sie harmoniert vollendet mit Landschaft und Licht des Nordens. Wie der Soundtrack der Mitternachtssonne: „Layers“ von Les McCann. Erschienen Anfang der siebziger Jahre.
Du hast der deutschen Szene viel Aufmerksamkeit geschenkt. Wer sich für Krautrock interessierte, wurde von Dir bestens bedient. Wie hast Du die Musik entdeckt?
Ende der 60er begann die Eigenständigkeit der deutschen Bands mit Tangerine Dream, Amon Düül, Can, Kraftwerk. Da war ich schon journalistisch unterwegs. Ich lernte Edgar Froese nach dem Tangerine-Dream-Auftritt auf den Essener Songtagen in der Gruga-Halle kennen. Amon Düül hörte ich zum ersten Mal im Kellergewölbe der Schweizer Ladenstadt in Köln. Ein sogenanntes Underground-Ereignis, bei dem auch Free-Jazzer wie Peter Brötzmann auftraten. Kraftwerk hatte sich an mich gewandt, wenn ich mich recht erinnere, auf der Suche nach einem Journalisten, der sachlich über sie schreibt.
Ich hörte sie auf einem Festival im Aachener Reiterstadion, neben Pink Floyd, T.Rex und anderen Größen. Kevin Ayers (Ex-Soft Machine) war auch mit seiner Band da. Die Bassgitarre spielte kein Geringerer als Mike Oldfield. Vor seinem kometenhaften Aufstieg mit „Tubular Bells“. Kraftwerk begleitete ich auch zu ihrem Konzert auf der Kölner Photokina. Da waren sie noch so knapp bei Kasse, dass sie mich beim Abbau der Instrumente baten, für sie - aus Versehen (!) - einen Mikrofonständer mitgehen zu lassen, der zwar zur Bühnenausrüstung, aber nicht ihnen gehörte. Wenn das keine Vertrauensbasis schafft! Ist doch wohl verjährt - Oder? Kraftwerk fühlte sich von fast allen Journalisten missverstanden. Sie redeten eine Zeit lang nur noch mit zwei Medienleuten in ganz Deutschland: mit Ingeborg Schober und mir.
Als Kraftwerk die Endabmischung von ihrer ersten LP machte, holte mich Ralf Hütter gegen Mitternacht von Krefeld kommend ab und fuhr mit mir ins Studio nach Wesseling bei Bonn. Dort arbeitete die Ton-Ingenieur-Legende Conny Plank. Diese Nacht wurde zu einem meiner wesentlichsten Erlebnisse. Es war, wie wenn ein Tor zu einer neuen Welt aufging. Tausend Musiker rund um die Welt haben später meine Einschätzung bestätigt.
Can erlebte ich zum ersten Mal im „Creamcheese“ in Düsseldorf. Mächtig! Wir besuchten uns oft gegenseitig in Köln. Mit Holger Czukay von Can verband mich eine enge Freundschaft, solange ich in Köln wohnte. Er kam durchschnittlich in zwei bis drei Nächten die Woche bei mir vorbei. Er klingelte nachts um eins. Dann tranken wir bis vier oder fünf Uhr Tee. Er ging danach nicht etwa ins Bett, sondern ins Studio an die Arbeit.
Ich war in Hamburg dabei, als Udo Lindenberg seine erste Solo-LP vorstellte. Kurz darauf machte ich für Rock In ein Endlos-Interview mit ihm. Seine erste Single hieß Hoch im Norden. Da ist er schon wieder - der Norden. Alle waren sie bei mir zu Hause. Die Pioniere und Ur-Rattles Achim Reichel und Dicky Tarrach (seine Frau kann vorzüglich kochen. Nachtisch-Spezialität: Eis mit Hering), Marius Müller-Westernhagen. Der ewige Weltreisende Christian Burkhardt, Trommler und Seele von Embryo. Klaus Schulze - wir schmiedeten nachts in der Küche Pläne, die wir nie verwirklichten. Ich hatte ihn zuvor in Berlin besucht. Ich war einer der Ersten, denen er seine Solomusik vom Vier-Spur-Tonband vorspielte.
Mit Frank Bornemann von Eloy, die in diesem Jahr ihr 25-jähriges Bühnenjubiläum feiern, haben wir bei mir eine Foto-Session gemacht. Da war noch Graham Bond, der mir mit seinem Riesenjoint ein Loch in den Teppich brannte. Und das große doppelseitige Innenfoto von Soft Machines „Third“ wurde wenige Stunden vor ihrem Kölner Festival-Auftritt in meiner Wohnung aufgenommen.
Ich war für alles aufgeschlossen. Schließlich muss man das Pflänzchen auch gerade um einen herum begießen, und man muss ein Forum schaffen, was ich ja mit meiner Spezial-Sendung Popmusik in Deutschland tat. Allerdings bin ich nie so weit gegangen, Dilettanten oder Murks zu spielen. Aber in diese Verlegenheit bin ich nie gekommen, denn es gab genug, was förderungswürdig war. Viele deutsche Musiker haben mir erzählt, dass sie damals, als ich sie gespielt habe, in anderen Sendern abgebürstet wurden. Zum Beispiel beim NDR. Dort hat man die Rezensionsexemplare von der Hamburger Firma Sky-Records, die unter anderen Michael Rother, Octopus und Harlis unter Vertrag hatten, einfach an den Absender zurückgeschickt - kein Interesse.
Du hattest viele Kontakte zu den Musikern. War das mehr ein distanziertes Verhältnis, was Journalisten in der Regel zu Künstlern haben, oder ging das tiefer?
Beides. Es fängt beruflich an und sehr oft sind daraus Freundschaften geworden. Mit Soft Machine war ich viele Jahre lang sogar ganz eng befreundet. Das kam so: Denen hatte ich ganz am Anfang, bevor ich überhaupt Radio machte, mal einen mehrseitigen Fan-Brief geschrieben. Den einzigen in meinem Leben! Schließlich war ich durchdrungen und hingerissen von der Musik, nachdem ich sie zweimal in England live gesehen und gehört hatte: Sie spielten wunderbare Stücke, mit eigenem Profil und kühnen Melodien. Und verbanden Jazz-Elemente mit Strukturen aus der Minimal-Musik und erzeugten eine hinreißende Ekstase, intellektuell kontrolliert.
Die Band kam dann nach Rotterdam, und ich habe mich bei ihnen gemeldet und gesagt, dass ich derjenige sei, der ihnen den Brief geschrieben habe. Sie erinnerten sich, denn der Inhalt hatte sie beeindruckt und sie sagten, komm` doch mit ins Hotel. So hat unser persönlicher Kontakt begonnen. Ich wollte ja mal über den neuen Beruf des Pop- oder Rockmusikers meine Diplomarbeit schreiben. Also eine soziologische Studie aus Fragebogenaktion und Beobachtungen anfertigen. Ich zog nach England, lebte mit Soft Machine zusammen und schaute, wie sie lebten, wie sie arbeiteten. Die Studie allerdings habe ich nie beendet.
Eine besonders gute Beziehung hatte und habe ich zu den Scorpions. Ich spielte sie von Anfang an und veranstaltete mit ihnen eines der frühen Rockkonzerte im großen Sendesaal des WDR, in der Reihe Nachtmusik im WDR. Es folgten etliche Interviews in den nächsten Jahren. Sie und ihr damaliger Produzent Dieter Dierks luden mich zu ihrer ersten Japan-Tournee ein. Schließlich spielten sie Ende der 70er auf meiner Hochzeit. Wir leben auf dem Lande und wollten uns den dort üblichen Bräuchen anschließen. Nur in einem nicht: in Sachen Musik. Wir wollten Rock. Es wurde eine gemischte Bauern- und Rock-Hochzeit. Frank Bornemann von Eloy brachte die Hardrock-Band Fargo, die er gerade produzierte, mitsamt ihrer Anlage mit. Eloy und die Scorpions zählten zu unseren Gästen. Als der Abend lang wurde, gingen auch sie auf die Bühne. Der spätere Scorpions-Hit The Zoo hatte auf unserer Hochzeit Welturaufführung.
Es gab Untersuchungen in den 70ern, die besagten, dass Intellektuelle komplexe, progressive Musik hörten. Arbeiter und Lehrlinge dagegen eher schlichte Popmusik. War das so?
Nein, diesen Eindruck hatte ich nicht. Das ging auch aus der Hörerpost nicht hervor. Es waren zwar engagierte Hörer, aber da waren bei weitem nicht nur Studenten dabei. Menschen haben allerdings das Bedürfnis, ihre Persönlichkeit mit dem, was sie hören, aufzuwerten. Diese Menschen findest du in jeder Szene. Die kenne ich auch von meiner Klassikliebhaberei her. Da habe ich es gesehen: Die einen sind einfach glücklich, wenn sie das gefunden haben, was sie fasziniert. Andere müssen sich die Köpfe einschlagen, weil nämlich der eine den Tenor A gut findet und der andere den Tenor B. Bei jüngeren Leuten, die noch in der Schule sind, spielt so ein Verhalten eine größere Rolle, da sie noch ein echtes Fan-Bedürfnis haben.
Pink Floyd zum Beispiel hatten immer geglaubt, dass sie an den Unis gut aufgehoben wären. Das Gegenteil war der Fall. Dort nämlich hatten sie harte Zeiten, wurden ausgebuht, mit Dosenbier beworfen. Die Leute riefen immer, wir wollen was zum Tanzen und nicht so ein Gezirpe und Gequietsche.
Neben Deiner Arbeit fürs Radio und für die Print-Medien hast Du auch Festivals moderiert. Wie entwickelte sich das Geschäft mit der rockmusikalischen Großveranstaltung?
Das Ganze begann zunächst als Anti-Kultur. Ende der 60er-Jahre dachten wir: Das ist alternativ, das ist endlich der Aufbruch gegen das Etablierte. Wir fühlten uns als Revoluzzer, forderten neue kulturelle Inhalte und wollten Konventionen sprengen. Ich habe das sehr genossen! Man hörte Musik nicht mehr in Schlips und Kragen und in Reihe 23 ohne Hüsteln, sondern ging ins Konzert oder zum Festival, war gekleidet wie man wollte und gab sich den ganzen Abend lang einem Rausch und einem Traum hin. Nicht nur die Musik, auch das gesamte Drumherum faszinierte mich.
Da war es doch logisch, daß du so etwas nicht sofort in feste Formen gießt. Na klar: Die ersten Festivals waren chaotisch, zum Beispiel auch Woodstock. Da ist eine Band, da ist Publikum, kommt alle zusammen und habt eine gute Zeit. Wir wollten uns unterscheiden, und dafür haben wir viel in Kauf genommen. Spontaneität spielte schließlich auch eine große Rolle. Das war das Charakteristische an den Festivals, die eben nicht etabliert, organisiert, durchstrukturiert und von Profitstreben durchtränkt waren. Die Veranstalter waren Hippies und mochten diese Hippiemusik - und Hippies neigen zum Chaotischen. Solch ein Mensch giert nicht nach dem Geld, und er ist auch keiner, der seinen Tag plant und stundenmäßig einteilt. Das ist eben jemand, der sich locker durchs Leben schaukelt.
Zudem gab es dieses sogenannte revolutionäre Publikum, das auf den Festivals immer dick vertreten war und für Chaos sorgte: Die waren nie bereit, Eintritt zu zahlen! Ihr Argument dafür: Die Bands seien reich, die können auch umsonst spielen. Dabei gab es jede Menge Musiker, die weder Multimillionäre waren, noch dass sie genügend Geld hatten, um ihre Familie ernähren zu können. Die waren natürlich nicht in der Lage, für die Revolution umsonst zu spielen. Außerdem: Wie soll denn etwas auf die Beine gestellt werden, wenn das Publikum nicht bereit ist, auch dafür zu bezahlen? Dieses Verhalten war nicht nur charakteristisch für Deutschland. In anderen Ländern war es noch schlimmer, besonders in Frankreich und Italien. Dort wurden die Festivals häufig in revolutionäre Schlachten umfunktioniert - und endeten öfters im Feuer.
Mit der Zeit änderten sich manche Hippie-Veranstalter zu knallharten Geschäftsleuten und verschweißten die Festival-Grundideen zu einem eisenharten Business. Was dann auch zu grober und großformatiger Heuchelei führte. Es gab etliche Musiker, die sich auf die Bühne stellten, von Spontaneität, Intuition und Herzenswärme sangen, sich dann umdrehten, und wehe, der Roadie hatte einen falschen Griff gemacht - dann flog der raus!
Es wurde und wird von der Bühne herunter reichlich geheuchelt. Frank Zappa, der Untergrund-Guru und Bürgerschreck der USA, war für seinen ersten Auftritt in Deutschland, in Berlin, angesagt. Die junge Linke freute sich schon auf ein großes „Sit In“, was auch in eine riesige Demo münden sollte. Und dann kam Zappa und sagt plötzlich, dass ihn das alles überhaupt nicht interessiere. Den Revoluzzer spielte der immer nur nach außen hin. Denn wer Zappa genauer kannte, der wusste, dass er privat hauptsächlich über Umsatz und Hitparadenplätze redete.
Ich habe genug Festivals erlebt und mich dann zurückgezogen. Diese Mega-Veranstaltungen behagten mir nicht mehr. Du stehst zum Beispiel in Schüttorf vor 30.000 Leuten auf der Bühne und willst Talk Talk, eine tolle Band, ansagen. Und dann heißt es plötzlich, die „Schweine“ sind aus dem und dem Grund nicht gekommen. Stimmt aber gar nicht. Die sind da und wollen nicht spielen, weil die ihnen zugesagte Gage nicht da ist
Du kommst in Situationen, die du überhaupt nicht mehr schnallst, und es wird auch dir angelastet, weil du da oben stehst und mit den Ungereimtheiten der Veranstaltungen identifiziert wirst. Und schon ist der gute Ruf lädiert. Wenn du sicher sein willst, ob das stimmt, was du da oben gleich von der Bühne sagen sollst, musst du erstmal stundenlange kriminalistische Untersuchungen machen. Nein, danke! Das konnte auch eine nette Gage niemals aufwiegen.
Das Klischee vom bösen Veranstalter stimmt auch nicht immer. Es gibt genügend Musiker, die, auch wenn ihnen die Haare bis zum Arsch wachsen, Veranstalter und Zuhörer nach Strich und Faden bescheißen. Hip sein und die Leute neppen - das ging schon in den Endsechzigern durchaus zusammen und hat sich in den 70ern fortgesetzt. Natürlich gab es auch etliche korrekte Großveranstaltungen. Die naive Parole: Wenn alle lieb und nett sind, dann sind das Leben und die Welt ein einziges Vergnügen - ein ab-so-lu-tes Trugbild. Ich kann dir sagen, ich habe in den Jahren wirklich eine Menge Illusionen verloren!
Für ein unrühmliches Kapitel in der Geschichte deutscher Großveranstaltungen sorgte das norddeutsche Scheeßel-Festival 1977. Von 20 angekündigten Topgruppen kamen nur fünf. Die Bühne ging schließlich in Flammen auf. Du warst dabei, wie kam es dazu?
Ich kenne dieses Festival, das im größten Chaos endete, in- und auswendig. Darüber könnte ich ein Buch, oder einen dreiteiligen TV-Krimi schreiben. Zur Vorgeschichte: Zwei Freunde, die eine GmbH gegründet hatte, waren die Urheber des Ganzen. Ihr erstes größeres Ding hatte ich als eine absolut astrein organisierte Veranstaltung, die in der Dortmunder Westfalenhalle stattfand, in Erinnerung, weil ich dort die Moderation übernommen hatte. Dieselben Leute luden mich jetzt also ein, Scheeßel zu machen. Es war genügend Geld für die Bands vorhanden; eine Drehtabakfirma hatte allein 200.000 DM hineingebuttert.
Der Kerl für die Pressearbeit, ein gewisser L., war allerdings ein kriminelles Schwein, der zuvor vom Landgericht Dortmund für fast tödlichen Drogenhandel verurteilt worden war. Dieser Mann also hatte für die Öffentlichkeitsarbeit einen riesigen Etat aus dem Topf zur Verfügung, ging herum, sprach mich an und ich machte einen Vertrag mit ihm. Irgendwann kam von der Veranstaltungszentrale in Lüdenscheid die Frage, wann ich denn endlich richtig Power über den Sender für Scheeßel machen würde. Ich sagte denen, ich habe einmal darauf hingewiesen und mehr mache ich nicht. Sonst entstünde noch der Eindruck, dass ich besonders involviert sei, da ich ja als Moderator mit dabei bin.
Und dann sprachen die Veranstalter von einer Quittung, nach der ich angeblich über 5.000 DM für diesen „Dienst“ kassiert hätte. Da hatte doch L. tatsächlich meine Unterschrift gefälscht und sich das Geld selber eingesteckt, wie ich herausfand. Ich bin dann nach Lüdenscheid gefahren und habe denen meine Scheckkarte gezeigt, damit sie mal meine Unterschrift sehen. Da sind die natürlich umgefallen. Später hatte sich L. noch weitere 20.000 DM aus dem Kapital genommen und sich dafür privat eine Stereoanlage gekauft. Irgendwann merkten auch die Gesellschafter, wen sie sich da eingehandelt hatten und schmissen ihn raus. Diese Sache, dass ich angeblich geschmiert worden sei, stimmte vorne und hinten nicht, hängt mir immer noch an und wurde von allen Gerüchteköchen nie recherchiert. Es sind ja noch mehr abenteuerliche Dinge passiert.
Der Veranstalter hatte alle Bands, die auf dem Plakat standen, auch wirklich engagiert! Und er überwies zum Teil große Vorabsummen der Gagen nach Amerika. Ich habe die Verträge gesehen! Doch die Bands kamen einfach nicht. Weder Nite City, noch die Byrds und einige andere. Dass die nicht kamen, wurde dem Veranstalter zu Unrecht angelastet. Ein anderer Vorwurf: Er habe sich mit der Millionenkasse in den Untergrund abgesetzt. Alles Lüge! Die amerikanischen Bands haben andere bekanntere deutsche Veranstalter gefragt, ob sie in Norddeutschland überhaupt auftreten sollen. Unglaublich! Wenn also dieser bekannte Veranstalter keinen Konkurrenten haben möchte, sagt er, lasst es sein, der ist windig, dann bleibt die Band eben zu Hause, kassiert die Hälfte der Gage, die der Veranstalter nie wiedersieht. Und bis zum Abend glauben alle treudoof, dass der Laden läuft. Und nichts geht. Und du bist der Moderator und sollst dich da hinstellen.
Das Publikum war gehörig verstimmt, die bekamen ja mit, dass irgend-etwas nicht richtig lief. Und die hatten für zwei Tage Festival schließlich um die 40 Mark bezahlt! Vor dir sitzen also 30.000 Leute voller Erwartungen. Und dann sollst du sagen: Nite City kommt nicht, die Byrds kommen nicht… - das überlebst du da oben nicht! Daher machte ich nur die Begrüßung und kündigte die ersten beiden Bands an. Dem Veranstalter sagte ich: Sprich du mit dem Publikum, das ist schließlich dein Bier.
Aber er konnte schon nicht mehr, und sein Mitgesellschafter traute sich nicht. Der Veranstalter hatte aus Versehen zwei konkurrierende Rockerbanden bestellt, die auf dem Gelände für Ordnung sorgen sollten. Die einen konnte er bezahlen, die anderen nicht. Sowas gibt natürlich einen Haufen Ärger. Und die Gangs haben ja dann auch Scheeßel in Flammen aufgehen lassen.
Jedenfalls war es nun so: Er konnte dem Publikum nichts mitteilen, weil ihn ein Teil der Rocker gemeinsam mit seiner Freundin in seinem Wohnwagen festhielt und ihn bedrohte. Er käme erst dann frei, wenn er zahlen könnte, hieß es. In der Tageskasse war allerdings kein Geld mehr, weil der Gerüstbauer mit einem Vollstreckungsbescheid vom Gerichtsvollzieher angekommen war und alle Einnahmen kassieren durfte.
Was machte der Veranstalter daraufhin? Er schickte einige Helfer vor die Tageskasse, die die Karten schwarz ein paar Mark billiger verkauften, damit er sich auslösen konnte. Klappte aber nicht. Die Bedrohungen wurden massiver und die Freundin des Veranstalters erlitt einen Nerven-zusammenbruch, während auf der Bühne eine Band quasi um ihr Leben spielte, weil die genötigt wurde, weiterzuspielen. Die Musiker wussten bereits, dass auch sie keine Gage bekommen würden und wollten deshalb aufhören. Doch die Rocker sagten denen, wenn sie das täten, dann bekämen sie die Fresse voll. Einer von denen hatte auch vorher noch Klaus Schulze gewarnt und gesagt: „Bist Du nicht Klaus Schulze? Deine Musik finde ich dufte. Hol schon mal deine Sachen von der Bühne, das Ganze geht nämlich nachher in Flammen auf“. Schulze sagte mir später: „Bedank‘ dich mal bei dem in der Sendung. Der hat mein ganzes Equipment gerettet!“
Was mich angeht, ich habe bei dem Festival Geld verloren. Ich habe für meine Arbeit dort nicht einen Pfennig bekommen. Eine Band bekommt in der Regel vorher die Hälfte der Gage und den Rest beim Auftritt. Ich hatte die gleichen Konditionen. Doch ich verlangte vorab kein Geld, obwohl es mir zugestanden hätte. Meinen Job, den ich zeitgleich bei der Berliner Funkausstellung gehabt hätte, musste ich ausfallen lassen, da ich für Scheeßel zugesagt hatte. Da ich schon mitbekommen hatte, dass in Scheeßel nicht alles glattläuft, habe ich noch am Abend vorher im Hauptquartier angerufen: Läuft alles? Es läuft alles wie geplant, hieß es. Ich fuhr also hin - und geriet mitten ins Desaster. Ich habe letztendlich draufgezahlt. Und in der Öffentlichkeit hieß es dann: Ich hätte mit abkassiert. Das ist zum Kotzen. Und es ist nicht nur unverantwortlich, dass so etwas auch noch geschrieben wird, das ist schon ein krimineller Akt.
Das Allerschlimmste war nämlich die Presse hinterher, und Scheeßel ist ja bis in die Tagesschau gekommen. Also, die Berichterstattung war noch abenteuerlicher als das Festival selbst. So was Falsches, so viele Lügen auf einem Haufen habe ich noch nie gelesen! Da stimmte überhaupt nichts mehr. Zum Beispiel, dass der Veranstalter die Bands nur genannt und aufs Plakat hätte drucken lassen, um viele zahlende Leute anzulocken. Wie kann man so etwas nur schreiben! Der Pressedienst, der das verlautbaren ließ, hatte nicht einen einzigen Menschen vor Ort gehabt. Diese Leute haben nur herumtelefoniert und sich aufs Hören-Sagen verlassen. Und dass sich der Veranstalter mit der Kasse abgesetzt habe - so ein Blödsinn. Das konnte der gar nicht, weil die Rocker ihn festgesetzt hatten!
Als das Rote Kreuz seine Freundin auf einer Bahre aus dem Wohnwagen heraustransportierte, da hat er sich dann glücklicherweise mit hinausschleichen können. Schon am nächsten Tag war er in Hamburg und hat sich dort mehreren Redaktionen für Interviews zur Verfügung gestellt. Von dem, was er erzählt hatte, ist nichts gedruckt worden. Da verliert man wirklich den Glauben an die Presse.
1987 stellte der WDR die Rock-In-Sendung ein. War das auch Dein Wunsch?
Nein, das war nicht mein Wunsch, das war eine Apparatschik-Entscheidung. Der zuständige Redakteur meinte, am Abend sei diese Sendung deplatziert, weil das, was ich da auflegen würde, die anderen Kollegen am Tage machen. Das stimmte nicht, weil meine Programme ausgesuchter waren. Ich hörte immer die Langspielplatten durch, und wenn ich etwas Interessantes gefunden hatte, dann spielte ich das auch. Ich habe in all den Jahren nie gewusst, wie die Top Twenty aussieht. Ich habe mich nie an einem Begleitmaterial, was mir die Plattenfirma schickte, hochgezogen, sondern habe selber gehört, selber entschieden.
Den einzigen Trost, den ich habe, ist der, dass es nicht meine Entscheidung war, mit Rock In aufzuhören. Ich hätte die Sendung wahrscheinlich bis auf den heutigen Tag weitergeführt. Nun gut. Es hieß dann, du kannst die Sendezeit behalten, aber mache etwas anderes. Schwingungen war von Anfang an meine Herzenssache und lief seit 1984 erstmal vierzehntägig. Da dachte ich, gut, dann gibt es jetzt wöchentlich Elektronik volles Rohr. Damit war ich schnell getröstet und glücklich. Zahllose Hörer auch.
Bei aller Einförmigkeit in der kapitalistischen Rock- und Popszene gibt‘s ja auch den Zwang zur Originalität. Der erste Rapper hat‘s nicht leicht gehabt. Aber wenn dann was Neues oben ist, wird‘s bis zur Neige ausgekostet. Im Augenblick ist Elektronik unheimlich angesagt. Elektronische Tanzmusik wird in Deutschland gemacht, und Tanzmusik Made in Germany war noch nie so populär wie heute. Heute gucken Musiker von den Deutschen ab. Das war damals genau anders herum. Interessant ist auch, dass es im britischen Radio nichts Vergleichbares wie Schwingungen gibt. Und - du wirst es kaum glauben - es gibt britische Radio-DJs, die von mir Argumente für ein Magazin dieser Art haben wollen, um ihre Chefs von der Notwendigkeit überzeugen zu können.
Elektronische Musik ist etwas, das geht durch alle Schichten. Ob Trucker, Trainer oder Tänzer, die Leute schreiben mir, wollen Tipps. Die Reaktion ist enorm! Wie gesagt, es geht um Elektronische Musik. Ich spiele kaum Techno, das machen meine Disco-Kollegen. Mir ist wichtig, jene Musiker vorzustellen, die eine Klangwelt mit einer eigenen Schönheit und eigener Ästhetik kreieren. Schwingungen ist keine BPM (Beats per Minute)-Sendung, obwohl sowas durchaus mal mitlaufen kann.
Böse Menschen behaupten, Elektronische Musik klingt so spannend wie ein sanft plätschernder Gebirgsbach...
...ja, ja. Das ist Unsinn! Man muss differenzieren können. Blonker, Michael Garrison, Vangelis - das sind doch völlig unterschiedliche Sachen. Elektroniker haben schließlich viele Eingriffsmöglichkeiten. Sie können, ähnlich den Pianisten, den Anschlag ein bisschen weicher oder härter gestalten. Aber da brauchst du schon ein sehr feines Gehör und du musst gut in der Musik drin sein, um das herauszuhören. Weltweit gibt es jedoch genug Elektroniker, die interessant genug sind, um vorgestellt zu werden. Mein Motto lautet: Viel hören, weil‘s viel gibt, die Nachahmer aussortieren - dann ist‘s okay. Im Grunde hat jede Musik ihre Berechtigung. Ich sehe das so: Musik ist ein großer Schatz, der uns ewig erhalten bleibt. Und jeder, egal ob Klassik-, Rock- oder Elektro-Musiker, jeder trägt seinen Teil dazu bei, so dass sich mit der Zeit eine kontinuierliche Anhäufung von Kostbarkeiten ergibt.
Was machst Du heute, was sind deine Zukunftspläne? Beschäftigst du Dich überhaupt noch mit Rockmusik?
Was Rockmusik angeht, da bin ich ziemlich raus, allerdings wäre ich in der Lage, in kürzester Zeit wieder einzusteigen. Doch zurzeit habe ich auch nicht das Bedürfnis. Natürlich höre ich Radio und kriege mit, was läuft. Ich besitze eine gewaltige Plattensammlung, und wenn ich Lust habe, das eine oder andere zu hören, dann mache ich das. Wenn mich ein Feind ausschalten will, dann muss er mich nur fragen, was meine Lieblingsplatten und Titel sind. Dann bin ich aus dem Takt, dann bin wochenlang wie gelähmt, dann fallen mir hundert Sachen ein, dann tu ich mich schwer, wühle meine Schränke durch - und habe Spaß daran! Ich könnte heute aus meinen Beständen Sendungen machen, mal wieder Dinge spielen, die absolut faszinierend sind. Auch deshalb, weil‘s kein anderer machen könnte.
Nachdem der WDR Schwingungen trotz unglaublichen Hörerprotests eingestellt hat, habe ich ein eigenes Unternehmen auf die Beine gestellt. Ich versorge heute ein großes Publikum mit einem regelmässigen CD-Dienst, sodass sich alle Interessierten über den Fortgang der Elektronischen Musik informieren und die neue Musik auch beispielhaft hören können. In Form einer Radio-Sendung. Schwingungen lebt also weiter. Mit allem Drum und Dran: Schwingungen-Wahl, Schwingungen-Preis und ähnliches mehr.